Steuerrechtsurteile

Kindergeld: Auch bei leicht behinderten Kindern in Vollzeit-Ausbildung ist ein behinderungsbedingter Mehrbedarf zu berücksichtigen



Ein Kind kann auch dann aufgrund seiner Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten, wenn nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 Prozent vorliegt und es in Vollzeit eine normale Berufsausbildung absolviert. Maßgeblich ist insoweit, ob die Einkünfte des Kindes den Grundbedarf in Höhe des Kindergeldgrenzbetrags zuzüglich des behinderungsbedingten Mehrbedarfs nicht übersteigen. Wird der Mehrbedarf nicht im Einzelnen nachgewiesen, so ist der Behinderten-Pauschbetrag anzusetzen.

Der Sachverhalt:
Die Tochter des Klägers war im Streitjahr 20 Jahre alt und absolvierte trotz einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 Prozent aufgrund eines Sportunfalls eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau. Ihre Einkünfte lagen knapp über dem im Streitjahr geltenden Kindergeldgrenzbetrag von 7.680 Euro. Die Familienkasse hob deshalb die Kindergeldfestsetzung auf.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass zusätzlich zum Grundbedarf in Höhe des Kindergeldgrenzbetrags ein behinderungsbedingter Mehrbedarf zu berücksichtigen sei. Unter Berücksichtigung des Behinderten-Pauschbetrags gemäß § 33b Abs.3 EStG in Höhe von 310 Euro würden die Einkünfte seiner Tochter den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten.


Das FG gab der Klage statt. Die Familienkasse hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt (BFH-Az.: III R 5/08).


Die Gründe:
Der Kläger hat im Streitjahr für seine Tochter Anspruch auf Kindergeld. Dieser Anspruch ergibt sich zwar nicht aus § 32 Abs.4 S.1 Nr.2a EStG, wonach für in der Ausbildung befindliche Kinder Kindergeld gezahlt wird, soweit die Einkünfte des Kindes den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen. Er kann aber auf § 32 Abs.4 S.1 Nr.3 EStG gestützt werden. Hiernach besteht für volljährige Kinder ein Anspruch auf Kindergeld, wenn sie wegen einer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten.


Ob jemand sich selbst unterhalten kann, beurteil sich nach seinem existentiellen Lebensbedarf. Dieser setzt sich bei behinderten Kindern aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Für das Streitjahr ist der Grundbedarf entsprechend dem Kindergeldgrenzbetrag mit 7.680 Euro anzusetzen. Hinzu kommt ein individueller behinderungsbedingter Mehrbedarf, den gesunde Kinder nicht haben. Erbringt der Steuerpflichtige insoweit keinen Einzelnachweis, ist der Behindertenpauschbetrag gemäß § 33b Abs.3 EStG in Höhe von 310 Euro anzusetzen.


Nach diesen Grundsätzen verfügte die Tochter des Klägers im Streitjahr nicht über ausreichend Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, da ihre Einkünfte unter der Summe von Jahresgrenzbetrag und Behindertenpauschbetrag lagen. Grund hierfür war ihre Behinderung. Denn die mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt rührte allein daher, dass sie gegenüber ihren nichtbehinderten Ausbildungskollegen einen erhöhten Lebensbedarf aufgrund der Behinderung hatte, den sie durch ihre Einkünfte nicht decken konnte.


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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.08.2008, Quelle: FG Berlin-Brandenburg PM vom 22.08.2008


(Meldung vom 2008-08-26)